«Vrenelisgärtli» ist kein Akutspital-Projekt

Seit 2012 werden in der Schweiz stationäre medizinische Eingriffe mit Fallpauschalen abgegolten. Grob vereinfacht dargestellt, wird der Preis für eine  medizinische Leistung, z.B. eine Blinddarmoperation, von jenem Akutspital bestimmt, welches in der kantonalen „Fallkostenrangliste“ jeweils auf Rang 7 liegt (von insgesamt 18 Spitälern).

Deshalb ist es für jedes einzelne Spital von grosser Bedeutung, was die anderen Spitäler im Kanton unternehmen, um ihre Betriebsabläufe zu optimieren. Effizientere Prozesse senken die durchschnittlichen Fallkosten und die Preise geraten unter Druck. In einem Artikel der «Handelszeitung» vom 12. September 2013  wird der Finanzchef des Zürcher Universitätsspitals mit den Worten zitiert: «Der grosse Sprung gelingt nur mit neuer Infrastruktur.» Und weiter im Text:

«Kürzere Wege, bessere Abläufe – viele Spitäler müssen derzeit ihre Gebäudestruktur einer genauen Prüfung unterziehen. Anbauen, umbauen oder gleich neu bauen – das ist für viele die Frage.»

In der Architekturwettbewerbs-Ausschreibung im Jahr 2012 mit dem Titel „Erweiterung Spital Uster“ wird denn auch folgerichtig festgehalten:

«Besonderes Augenmerk wird dabei auf die funktionale Raumanordnung für optimale Betriebsabläufe, […] sowie auf die Wirtschaftlichkeit gelegt.»

Zwei Jahre später, nach Abschluss des Wettbewerbs und der Kürung des Siegerprojekts „Vrenelisgärtli“ wird die selber aufgestellte Wettbewerbsprämisse im Bericht des Jurypräsidenten aber plötzlich drastisch relativiert:

«Grundsätzlich führt das Zusammenfügen der bestehenden Spitalanlage mit dem Erweiterungsprogramm nie zu einem optimalen Spitalbetrieb. Die AufgabensteIlung bestand denn auch explizit darin, die nutzbaren, noch nicht amortisierten, aber auch die denkmalpflegerisch bedeutsamen Anlageteile mit den Neubauten so zu verknüpfen, dass insgesamt ein bestmöglicher Spitalbetrieb entsteht».

Natürlich, die neue Rehaklinik steht dem zweckmässigen Ausbau des Akutspitals physisch im Weg. Anstatt, wie in Wetzikon geplant, ein neues Spital ans bestehende anzubauen, muss in Uster mit sogenannten „Überformungen“ vorlieb genommen werden – dem Aufstocken bestehender Akutspitalbereiche. Dies notabene während laufendem Spitalbetrieb. Ernüchternd ehrlich fährt der Jurypräsident fort:

«Bei der Überformung von bestehenden Gebäudeteilen mit Neubauteilen zeigten sich insofern grosse Unterschiede, als Projekte mit grosser Eingriffstiefe massgeblich über dem angestrebten Kostenziel lagen, sich jedoch durch idealere und optimierte Betriebsabläufe auszeichneten. Demgegenüber musste bei Projekten, die sparsam mit dem Bestand umgingen und dementsprechend näher beim Kostenziel lagen, eher betriebliche Unzulänglichkeiten in Kauf genommen werden.»

Auf gut Deutsch heisst dies nichts anderes, als dass jene Architekturbüros, welche den Wettbewerbsauftrag ernst genommen und eine funktional überzeugende Akutspitalerweiterung UND die Integration einer neue Rehaklinik projektiert haben, das Kostenziel von 250 Millionen Franken unmöglich einhalten konnten. Den Fünfer und das Weggli gibt’s nicht, wie wir bereits in diesem Blog-Post ausgeführt haben.

Es kommt aber noch besser – in den weiteren Ausführungen verabschiedet sich die Jury mental vollends vom Akutspital:

 «Das Preisgericht kommt zum Schluss, dass es auch nach der vertieften zweiten Wettbewerbsstufe im Bereich des heutigen Akutspitals keine eindeutig «beste» Lösung gibt.»

In der Folge werden keine weiteren intellektuellen Anstrengungen mehr unternommen, um den als „ERWEITERUNG DES SPITALS USTER“ übertitelten Architekturwettbewerb wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Stattdessen wird die Lösung des Problems schwurblig auf den St. Nimmerleinstag verschoben:

 «Die «beste» Lösung kann nur in einem iterativen Prozess mit allen Beteiligten herausgearbeitet werden. Nur auf diese Weise wird es erst möglich sein, ein Gleichgewicht zwischen dem Wunsch nach dem optimalen Spitalbetrieb und den engen Grenzen des wirtschaftlich tragbaren zu finden.»

Innert zweier Jahre wird also aus dem „besonderen Augenmerk auf die funktionale Raumanordnung für optimale Betriebsabläufe“ nur noch ein simpler Wunsch …

Die totale Kapitulation vor dem offensichtlich unbändigen Verlangen nach einem Reha-Prestigebau liest sich schliesslich wie folgt:

«Aufgrund dieser Erkenntnis hat das Preisgericht die Beurteilung einerseits der Investitionsgrösse und andererseits betriebliche Unzulänglichkeiten im Bereich des Akutspitals äusserst zurückhaltend beurteilt, im Wissen, dass dieser gemeinsame Entwicklungsprozess noch bevorsteht.»

Erst wenn man diesen Schachtelsatz in seine Bestandteile zerlegt, erkennt man den Zündstoff den er in sich birgt. Wenn etwas „äusserst zurückhaltend“ beurteilt wird (z.B. die konjunkturelle Entwicklung der Weltwirtschaft für das kommende Jahr) ist dies ein Synonym für „nicht den Erwartungen entsprechend“ oder „unzureichend“. Folglich lautet obiger Satz deutsch und deutlich:

  1. «Das Preisgericht erachtet die Investitionsgrösse im Bereich des Akutspitals als unzureichend»
  2. «Das Preisgericht erachtet die betrieblichen Unzulänglichkeiten im Bereich des Akutspitals als zu hoch und somit nicht den Erwartungen entsprechend»

Schliesslich lässt ein ominöser «gemeinsamer Entwicklungsprozess» viel Raum für Spekulationen. Wie wär’s zum Beispiel mit der Schliessung des Akutspitals «aufgrund der engen Grenzen des wirtschaftlich tragbaren»?

Ganz zum Schluss ist die Jury aber wieder in ihrem Element, wenn die Rede auf den Neubau der Rehaklinik kommt. Aufgeräumt verkündet sie:

«Demgegenüber war der Neubaubereich sowohl bezüglich betrieblichen Abläufen als auch der Kosten gut zu beurteilen.»

Nein, «Vrenelisgärtli» ist mit Sicherheit kein Akutspital-Projekt, welches sich den grossen, künftigen Herausforderungen in Bezug auf eine kostenoptimierte medizinische Grundversorgung stellt.

Die Frage, weshalb ausgerechnet jenes Projekt den Architekturwettbewerb gewonnen hat, welches selbst nach Ansicht der Jury die Prämissen des Wettbewerbs nicht erfüllt, dürfte wohl auch die unterlegenen Architekturbüros brennend interessieren.